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Menschenrechtsrat

- MRR TOP 3: Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung in der praktischen Umsetzung – Zugang zu sexueller Aufklärung, Verhütungsmethoden und Abtreibungen global gewährleisten

Inhaltshinweise: Schwangerschaftsabbrüche; Diskussion von Verhütungsmitteln und sexueller Aufklärung; Nennung von Vergewaltigung

Kurzzusammenfassung

Jeder Mensch hat das Recht, sich in allen Dingen, die den Körper, die Sexualität und die Familienplanung betreffen, selbstbestimmt und ohne Zwang entfalten zu können, schreibt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Tatsächlich wurde das Recht auf körperliche Selbstbestimmung in den letzten Jahren vermehrt diskutiert. Konkret geht es darum, besonders Frauen und Mädchen zu ermöglichen, selbstbestimmt mit ihrem Körper und ihrer Sexualität umzugehen und in Eigenregie Entscheidungen zu treffen (wie zum Beispiel, ob, wann und wie sie Kinder bekommen möchten). Dazu entscheidend sind Zugang zu Sexualaufklärung, Informationen und Zugang zu diversen Verhütungsmitteln, eine professionelle Beratung und Begleitung von Schwangerschaften, sowie unter Umständen die sichere und legale Gewährleistung von Schwangerschaftsabbrüchen durch medizinisches Fachpersonal.

Einleitung

Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist ein fundamentales Menschenrecht, das weltweit unterschiedlich interpretiert und umgesetzt wird. Dieser Text beleuchtet die praktischen Herausforderungen und Fortschritte bei der globalen Gewährleistung dieses Rechts, mit besonderem Fokus auf den Zugang zu Aufklärung, Verhütungsmethoden und Abtreibungen. Trotz internationaler Bemühungen bestehen weiterhin erhebliche Unterschiede in der Verfügbarkeit und Qualität dieser essentiellen Gesundheitsleistungen. Die aktuelle Situation zeigt, dass noch immer viele Menschen, insbesondere Frauen und Mädchen, in ihrer körperlichen Selbstbestimmung eingeschränkt sind, was die Notwendigkeit fortgesetzter globaler Anstrengungen unterstreicht. 

Anstatt in Frage zu stellen, ob und in welchem Umfang das Recht auf Abtreibung besteht und ob Menschen selbstbestimmt über ihre Körper entscheiden sollen, geht es bei dieser Thematik explizit um die praktischen Aspekte, welche nach Bejahung der vorangegangenen Fragen folgen: Wie kann das Recht auf körperliche Selbstbestimmung weltweit gewährleistet werden? Was gehört alles dazu? Wo bestehen Hindernisse? 

Hintergrund und Grundsätzliches

My body, my choice”: Hinter dem feministischem Motto, welches vielen sowohl von Demoplakaten oder Stickern bekannt ist, steckt die Forderung nach körperlicher Selbstbestimmung. Das heißt nichts anderes, als eigenständig und informiert alle Entscheidungen treffen zu können, die mit dem eigenen Körper zu tun haben. Von der Entscheidung für Tattoos oder Piercings, über die Einwilligung zu medizinischen Behandlungen bis dahin, mit wem man sexuelle Beziehungen eingeht oder ob man Kinder bekommen möchte – das die Kontrolle darüber in den meisten Fällen bei der eigenen Person liegt, ist ein Gedanke der Menschenrechte, der sich auch unter Artikel 2 des deutschen Grundgesetzes wiederfinden lässt. Für viele Personengruppen existiert das Recht auf körperliche Selbstbestimmung in der Praxis jedoch nur in Abstufungen. Beispielsweise wird Kindern, Senior*innen oder Menschen mit bestimmten Behinderungen schnell abgesprochen, selbst die Entscheidung über sich und ihren Körper treffen zu können. 

Die reproduktive Dimension des Rechts auf körperlicher Selbstbestimmung umfasst alle Entscheidungen, die eine Person im Zusammenhang mit Sexualität und Familienplanung treffen kann: “Alle Menschen haben das Recht auf körperliche Unversehrtheit, jede Frau, die ein Kind erwartet, hat das Recht auf eine sichere Schwangerschaft und Geburt. Jedes Kind hat das Recht auf einen gesunden, medizinisch betreuten Start ins Leben. Alle Menschen haben das Recht, frei zu bestimmen, ob, wann und mit wem sie eine Beziehung eingehen oder Kinder haben wollen. Und alle haben das Recht, lebenslang ein befriedigendes Sexualleben führen zu können und dabei vor Diskriminierung, Missbrauch und sexuell übertragbaren Krankheiten geschützt zu sein.” Dieses Statement des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zeigt auf, dass mit der Fragestellung weitaus mehr als der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen einhergeht – auch wenn diese Thematik häufig am meisten diskutiert wird. 

Wenn danach gesucht wird, wie das Recht auf körperliche Selbstbestimmung weltweit praktischer umgesetzt werden kann, ist es wichtig, das Problem aus möglichst vielen Blickwinkel zu beleuchten. Weltweit leiden insbesondere Frauen und Mädchen unter den Folgen von mangelnder sexueller Aufklärung, an sexualisierter Gewalt oder an unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen – doch kann man diese nicht als eine einheitliche Personengruppe begreifen, die alle in genau demselben Ausmaß und unter denselben Umständen betroffen sind. 

Zentral bei der Entwicklung von Lösungen ist die Berücksichtigung von Faktoren wie Armut, Geschlecht oder Ethnie. Dabei ist das feministische Konzept der Intersektionalität besonders wichtig. Gemeint ist damit, dass verschiedene Diskriminierungsformen (wie etwa Rassismus, Sexismus oder Homophobie) nicht einzeln für sich wirken und unabhängig voneinander betracht werden können, sondern dass sie sich gegenseitig überschneiden (engl. to intersect = dt. überschneiden) und so auch neue Formen der Diskriminierung entstehen können. 

Die Theoretikerin Kimberlé Crenshaw (1989), welche den Begriff maßgeblich entwickelt hat,  verdeutlicht dies mit dem Bild einer Kreuzung von zwei Straßen: Die eine Straße steht für Geschlecht, die andere für »Race«. Auf beiden Straßen können Unfälle im Sinne von Diskriminierung passieren. Wer aber in der Mitte der Kreuzung steht, läuft ein höheres Risiko, in einen Unfall verwickelt zu werden. Das wäre z. B. bei schwarzen Frauen der Fall: Autos können von einer Seite oder von mehreren Seiten gleichzeitig kommen. Nur nach Ungleichbehandlung auf Grund von Sexismus ODER Rassismus zu schauen, berücksichtigt nicht, welche besondere Position die betroffene Person auf der Straße, beziehungsweise in der Gesellschaft einnimmt.

Für die Diskussion des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung heißt dies, dass berücksichtigt werden muss, welche Unterdrückungsmechanismen sich auch auf die körperliche Selbstbestimmung einer Person auswirken können und auf welche Art und Weise diese Ausschlüsse zustande kommen. Zusätzlich zu Frauen und Mädchen gibt es auch andere Personengruppen, die ebenfalls Kinder empfangen können und daher an den Diskussionen um Schwangerschaften ebenso beteiligt werden sollten (wie z.B. manche trans* Männer oder nicht-binäre Personen) - in diesem Text wird jedoch maßgeblich die Situation von cis-geschlechtlichen Frauen und Mädchen beleuchtet. 

Aktuelles

Die globale Situation bezüglich körperlicher Selbstbestimmung und reproduktiver Gesundheit bleibt trotz Fortschritten weiterhin kritisch. Im Jahr 2019 starben weltweit fast 200.000 Frauen zwischen 15 und 49 Jahren aufgrund von Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt. Der Weltbevölkerungsbericht 2024 offenbart alarmierende Statistiken: Jede zweite Schwangerschaft ist unbeabsichtigt, jede vierte Frau kann nicht Nein zu Sex sagen, und jede zehnte hat keine Wahl bei der Verhütung.

Obwohl die Nutzung moderner Verhütungsmittel bei Frauen zwischen 15-49 Jahren global von 28% im Jahr 1970 auf 48% im Jahr 2019 gestiegen ist, haben immer noch 162,9 Millionen Frauen weltweit einen ungedeckten Bedarf an Verhütungsmitteln. Besonders besorgniserregend sind die großen regionalen Unterschiede: afrikanische Länder, welche südlich der Sahara liegen, weisen mit nur 24% die niedrigste Nutzung und mit 52% die geringste Bedarfsdeckung bei Verhütungsmitteln auf.

Quelle: Lorie Shaull from St Paul, United States, CC BY-SA 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/>

In den letzten Jahren ist zudem eine beunruhigende Tendenz zu beobachten, dass reproduktive Rechte vermehrt durch politische Entscheidungsträger beeinflusst werden. In einigen Ländern, darunter Afghanistan und die USA, wurden Rückschritte bei den reproduktiven Rechten verzeichnet. Diese politische Einflussnahme gegen reproduktive Rechte stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Fortschritte dar, die in den vergangenen Jahrzehnten erzielt wurden.

Trotz dieser Herausforderungen gibt es auch positive Entwicklungen. Die globale Müttersterblichkeitsrate ist zwischen 2000 und 2020 um 34% gesunken, und die Anzahl der Frauen, die moderne Verhütungsmittel verwenden, hat sich zwischen 1990 und 2021 verdoppelt. Zudem haben mindestens 162 Länder Gesetze gegen häusliche Gewalt verabschiedet, was einen wichtigen Schritt zur Stärkung der Rechte von Frauen darstellt. 

Diese aktuellen Entwicklungen unterstreichen die Notwendigkeit fortgesetzter globaler Bemühungen, um das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und reproduktive Gesundheit für alle Menschen, insbesondere für marginalisierte Frauen und Mädchen, zu gewährleisten und zu schützen.

Probleme und Lösungsansätze

Religiöse und kulturelle Normen

Religiöse und kulturelle Überzeugungen spielen in vielen Gesellschaften eine zentrale Rolle bei der Gestaltung sozialer Normen und individueller Lebensentscheidungen. In einigen gesellschaftlichen Kontexten beginnt das Leben eines Kindes bereits zum Zeitpunkt der Empfängnis, was zu massiven Einschränkungen des Zugangs zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen führt. Darüber hinaus werden Verhütungsmittel in einigen Kulturen ebenfalls als moralisch fragwürdig angesehen, da sie als Eingriff in den „natürlichen“ Fortpflanzungsprozess betrachtet werden. Diese tief verwurzelten Überzeugungen sind nicht nur Hindernisse für die körperliche Selbstbestimmung von Frauen, sondern verschärfen gesundheitliche und soziale Ungleichheiten, insbesondere in Gesellschaften, in denen Frauen auch ansonsten rechtlich benachteiligt sind. 

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, bedarf es sowohl nationaler als auch globaler Maßnahmen, die kulturelle Sensibilitäten respektieren und gleichzeitig auf universellen Menschenrechten basieren. Ein zentraler Ansatz ist der Aufbau von Dialogforen mit religiösen und kulturellen Führungspersönlichkeiten, die eine Schlüsselrolle bei der Meinungsbildung in ihren Gemeinschaften einnehmen. Solche Foren bieten Raum für den Austausch zwischen religiösen Vertreter*innen, Expert*innen für reproduktive Gesundheit und weiteren Akteur*innen, um lokale Glaubenssysteme progressiv zu interpretieren und den gesellschaftlichen Diskurs in Richtung Anerkennung reproduktiver Rechte zu lenken.

Auf globaler Ebene spielen internationale Aufklärungskampagnen eine wichtige Rolle. Diese Kampagnen sollten kulturelle und religiöse Sensibilitäten berücksichtigen, gleichzeitig jedoch wissenschaftliche Fakten und universelle Menschenrechte in den Vordergrund stellen. Die Digitalisierung bietet hierbei eine einmalige Gelegenheit, Informationen weitreichend zu verbreiten und schwer zugängliche Zielgruppen zu erreichen. Durch den Einsatz sozialer Medien können nicht nur Informationskampagnen durchgeführt, sondern auch Plattformen für den Austausch und die Vernetzung geschaffen werden. Solche digitalen Räume ermöglichen es, Menschen mit ähnlichen Anliegen zu verbinden und so eine breitere Bewegung für reproduktive Rechte zu fördern.

Mangelnder Zugang zu Gesundheitsversorgung

In vielen ländlichen und marginalisierten Regionen fehlt es an grundlegender Gesundheitsinfrastruktur und qualifiziertem medizinischem Personal. Diese Defizite betreffen insbesondere den Bereich der reproduktiven Gesundheit, da sowohl Fachkräfte als auch essentielle Ressourcen wie Verhütungsmittel nicht ausreichend verfügbar sind. Die daraus resultierenden Einschränkungen führen dazu, dass viele Menschen keinen Zugang zu grundlegenden medizinischen Leistungen haben, was negative Auswirkungen auf die körperliche Selbstbestimmung, die Geschlechtergleichstellung und die öffentliche Gesundheit hat.

Um den Mangel an qualifiziertem medizinischem Personal und Gesundheitsinfrastruktur zu überwinden, sind gezielte Maßnahmen auf globaler und nationaler Ebene erforderlich.

Auf internationaler Ebene könnten Schulungsprogramme für medizinisches Personal eingeführt werden, die länderübergreifend Fachwissen vermitteln und einen Schwerpunkt auf reproduktive Gesundheit legen. Solche Programme würden nicht nur bestehende Kompetenzlücken schließen, sondern auch den internationalen Austausch von Best Practices fördern. Zusätzlich sollten globale Partnerschaften gestärkt werden, um die Bereitstellung von Verhütungsmitteln in betroffenen Regionen sicherzustellen. Organisationen wie die UNFPA (United Nations Population Fund) könnten dabei eine Schlüsselrolle übernehmen, indem sie den Zugang zu modernen Verhütungsmethoden verbessern und die Versorgung mit diesen Mitteln nachhaltig sichern.

Auf nationaler Ebene ist es essentiell, Ausbildungsprogramme für Gesundheitsberufe mit einem speziellen Fokus auf reproduktive Gesundheit auszubauen und finanziell zu unterstützen. Subventionierte Studiengänge oder Weiterbildungen könnten mehr junge Menschen dazu motivieren, eine Karriere im medizinischen Bereich einzuschlagen, insbesondere in unterversorgten Regionen. Ebenso entscheidend ist die Förderung von staatlichen Programmen zur Errichtung und Unterstützung von Gesundheitszentren in ländlichen Gebieten. Durch gezielte Investitionen in die Infrastruktur und den Betrieb dieser Zentren könnten grundlegende Gesundheitsleistungen, einschließlich der reproduktiven Gesundheit, einer breiteren Bevölkerung zugänglich gemacht werden.

Gesetzliche Hürden

In vielen Ländern verhindern restriktive Gesetze den Zugang zu sicheren Abtreibungen und modernen Verhütungsmitteln, was die körperliche Selbstbestimmung erheblich einschränkt. Beispiele hierfür sind Afghanistan, wo reproduktive Rechte nahezu vollständig verweigert werden, oder einige US-Bundesstaaten, in denen strenge Abtreibungsverbote erlassen wurden. Solche gesetzlichen Regelungen basieren oft auf politischen oder ideologischen Überzeugungen und stehen in direktem Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsstandards. Die Folge sind erhebliche gesundheitliche und soziale Belastungen, insbesondere für Frauen und marginalisierte Bevölkerungsgruppen. Lösungen (Entwicklung nationaler Notfallpläne, die reproduktive Gesundheit auch in Krisensituationen sichern, Kooperation mit internationalen Organisationen zur gezielten Bereitstellung von Hilfsgütern wie Verhütungsmitteln und medizinischer Ausstattung).

Um die Auswirkungen restriktiver Gesetzgebung zu mindern und reproduktive Rechte langfristig zu sichern, sind umfassende Maßnahmen sowohl auf internationaler als auch nationaler Ebene erforderlich.

Auf globaler Ebene sollte die Unterstützung internationaler Netzwerke und Organisationen verstärkt werden, die sich für reproduktive Rechte einsetzen. Organisationen wie die WHO oder die UNFPA könnten eine zentrale Rolle dabei spielen, reproduktive Rechte auf die globale Agenda zu setzen und politisch zu verankern. Darüber hinaus sollten multilaterale Abkommen genutzt werden, um reproduktive Rechte als Grundrechte anzuerkennen. Internationale Organisationen und Gremien könnten durch Einflussnahme auf Länder mit restriktiven Gesetzen dazu beitragen, diese Rechte weltweit zu fördern und gesetzliche Hürden abzubauen.

Ökonomische Abhängigkeit

Die ökonomische Abhängigkeit von Partnern oder der Mangel an finanziellen Mitteln stellt in vielen Regionen der Welt ein erhebliches Hindernis für den Zugang zu reproduktiver Gesundheitsversorgung dar. Besonders einkommensschwache Bevölkerungsgruppen haben oft keinen Zugang zu Verhütungsmitteln oder sicheren Abtreibungen, da diese entweder hohe Kosten verursachen oder nur in privaten Einrichtungen verfügbar sind. Diese finanzielle Barriere verstärkt bestehende soziale Ungleichheiten und behindert Frauen in ihrer Fähigkeit, selbstbestimmte Entscheidungen über ihre Gesundheit und ihren Körper zu treffen.

Der Abbau finanzieller Hürden erfordert gezielte Maßnahmen auf lokaler, nationaler und globaler Ebene, um die Zugänglichkeit von Gesundheitsdiensten zu verbessern und die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen zu fördern.

Ein zentraler Ansatz auf nationaler Ebene ist die Einführung kostenloser oder stark subventionierter Gesundheitsdienste für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen. Staatlich finanzierte Programme könnten sicherstellen, dass grundlegende Leistungen wie die Bereitstellung von Verhütungsmitteln oder sichere Abtreibungen für alle zugänglich sind, unabhängig von der finanziellen Situation. Parallel dazu sollten Förderprogramme ausgebaut werden, die Frauen in ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit stärken. Hierzu zählen insbesondere der Zugang zu Bildung, beruflichen Qualifikationen und Arbeitsmöglichkeiten, die Frauen eine selbstbestimmte Lebensführung ermöglichen und ihre finanzielle Abhängigkeit von Partnern reduzieren.

Auf globaler Ebene könnten internationale Mikrofinanzierungsprogramme eine entscheidende Rolle spielen. Solche Programme, die speziell Frauen in prekären finanziellen Situationen unterstützen, können nicht nur die wirtschaftliche Eigenständigkeit fördern, sondern auch Investitionen in die eigene Gesundheit ermöglichen. Darüber hinaus sollte die reproduktive Gesundheitsversorgung systematisch in globale humanitäre und Entwicklungsprojekte integriert werden. Dies könnte gewährleisten, dass auch in Krisengebieten oder einkommensschwachen Ländern reproduktive Gesundheitsdienste bereitgestellt werden, ohne dass finanzielle Hürden den Zugang verhindern.

Krisen - und Konfliktgebiete

In Konflikt- und Krisengebieten wird die reproduktive Gesundheit oft stark vernachlässigt, da die Ressourcen primär auf akute Überlebenshilfe wie Nahrung und Unterkünfte konzentriert werden. Besonders gravierend ist die systematische Nutzung von Vergewaltigungen als Kriegswaffe, was nicht nur körperliche und psychische Traumata verursacht, sondern auch die Notwendigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen und anderer reproduktiver Gesundheitsversorgung erhöht. Gleichzeitig fehlt es häufig an essentiellen Gütern wie Verhütungsmitteln und medizinischer Ausrüstung, was die gesundheitliche Lage von Frauen und Mädchen zusätzlich verschärft.

Um die reproduktive Gesundheit auch in Krisen- und Konfliktsituationen zu gewährleisten, bedarf es eines umfassenden Ansatzes, der sowohl nationale Notfallstrategien als auch internationale Unterstützung umfasst.

Auf nationaler Ebene ist die Entwicklung von Notfallplänen essentiell, die sicherstellen, dass reproduktive Gesundheitsdienste auch während der Krisensituationen aufrechterhalten werden. Diese Pläne könnten die Bereitstellung von Verhütungsmitteln, Notfallkontrazeption, Schwangerschaftsabbrüchen und medizinischer Betreuung für Opfer sexualisierter Gewalt priorisieren. Eine enge Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wäre hierbei unerlässlich, um die gezielte Bereitstellung von Hilfsgütern wie Verhütungsmitteln und medizinischer Ausstattung zu gewährleisten.

Auf internationaler Ebene sollte die Bereitstellung humanitärer Hilfe verstärkt werden, die reproduktive Gesundheitsdienste als festen Bestandteil einschließt. Dies könnte durch die gezielte Finanzierung und den Ausbau mobiler Kliniken und Gesundheitsversorgungsteams durch internationale NGOs geschehen. Mobile Kliniken ermöglichen es, auch in schwer erreichbaren Gebieten medizinische Versorgung anzubieten und auf die spezifischen Bedürfnisse der betroffenen Bevölkerung einzugehen. Darüber hinaus könnten internationale Akteure die Einrichtung spezialisierter Programme für Opfer sexualisierter Gewalt unterstützen, um umfassende medizinische, psychologische und rechtliche Hilfe anzubieten.

Punkte zur Diskussion

- Wie können kulturelle und religiöse Überzeugungen respektiert werden, ohne die Rechte auf körperliche Selbstbestimmung einzuschränken?

- Inwiefern sollten finanzielle Aspekte bei der Gewährleistung des Zugangs zu Verhütungsmitteln und Abtreibungen berücksichtigt werden, und wie könnte eine gerechte Kostenverteilung aussehen?

- Welche pragmatischen Strategien sind besonders effektiv, um reproduktive Rechte in Krisensituationen zu gewährleisten?

- Wie kann Digitalisierung dazu beitragen, Stigmatisierung zu reduzieren und den Zugang zu reproduktiven Gesundheitsdiensten zu erleichtern?

Lexikon

transgeschlechtlich: (oder trans*, trans) Menschen, die nicht das Geschlecht sind, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, sind trans. Trans Menschen können sowohl binär (also Mann oder Frau) als auch nichtbinär sein. 

cis-geschlechtlich: ‚Cis‘ (gesprochen: zis) wird benutzt, um auszudrücken, dass eine Person das Geschlecht hat, dem sie bei der Geburt aufgrund der Genitalien zugewiesen wurde.

binäre Geschlechterordnung, die: Innerhalb einer binären Geschlechterordnung wird Geschlecht als entweder männlich oder weiblich gedacht - Menschen sind also entweder ein Mann oder eine Frau. Sowohl Menschen, die nicht in diese Geschlechterordnung passen, z. B. wegen einer nicht-binären Geschlechtsidentität, als auch die biologische Bandbreite von Geschlechtsmerkmalen, werden ausgeblendet.

nichtbinär: Als nichtbinär können sich Menschen bezeichnen, die nicht (oder nicht zu 100%) Mann oder Frau sind. Stattdessen ist ihr Geschlecht beispielsweise beides gleichzeitig, zwischen männlich und weiblich, oder weder männlich noch weiblich. Manche nichtbinäre Menschen verorten sich ganz außerhalb des binären Systems, manche haben gar kein Geschlecht oder haben eine Geschlechtsidentität, die sich immer wieder ändert. 

Intersektionalität, die: Intersektionalität ist ein Begriff, der das Zusammenwirken mehrerer Unterdrückungsmechanismen beschreibt. Er wurde von schwarzen Feminist*innen entwickelt und wird mittlerweile sowohl in der wissenschaftlichen Forschung als auch in pädagogischen und aktivistischen Zusammenhängen benutzt.

marginalisiert: Als marginalisiert werden Personen- und Bevölkerungsgruppen bezeichnet, die durch einen sozialen Prozess an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Dadurch wird ihnen der Zugang zu vielen grundlegenden Dienstleistungen oder Möglichkeiten verwehrt. Man spricht auch von sozialer Ausgrenzung. 

Konzeption, die: Auch Empfängnis genannt, bezeichnet die Konzeption den Prozess der Befruchtung einer Eizelle, wobei diese mit einem Spermium verschmilzt. Die Konzeption steht am Anfang einer Schwangerschaft. 

reproduktiv: Der Begriff “reproduktiv” bedeutet so viel wie “erneuernd” oder “nachahmend”. Im Zusammenhang mit politischen Forderungen bezeichnet er das Thema rund um Fortpflanzung und Familienplanung. 

Kontrazeption, die: Als Kontrazeptiva werden Methoden bezeichnet, welche die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft nach vaginalem Geschlechtsverkehr verringern, wie etwa die Pille oder das Kondom. 

Feminismus, der: der Feminismus ist ein Sammelbegriff für eine vielfältige sozial-politische Bewegung, welche seit Jahrzehnten für die Gleichberechtigung der Geschlechter und gegen die besondere Benachteiligung von Frauen und Mädchen kämpft. Das Wahlrecht für Frauen, das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche oder die Verbreitung von Verhütungsmitteln sind alles feministische Errungenschaften des letzten Jahrhunderts. Dabei lässt sich der Feminismus nicht als eine einheitliche politische Gruppierung begreifen: Es existieren unterschiedliche Strömungen, die eine eigene Schwerpunktsetzung haben, wie zum Beispiel Schwarzer Feminismus oder Queerfeminismus. 

Race: Der aus dem Englischen stammende Begriff “race” (gesprochen: räis) bezeichnet die politische, soziale und kulturelle Einordnung von Menschen als Weiß- oder Nichtweiß und den dazugehörigen gesellschaftlichen Privilegien. Das aus dem US-Kontext übernommene Konzept lässt sich nicht mit dem deutschen Begriff „Rasse“ übersetzen: Anders als der Rassenbegriff ist das Konzept “race” in den USA eng mit den Kämpfen Schwarzer Menschen gegen rassistische Ungleichheit verbunden und wird verwendet, um zu zeigen, dass man sich bewusst ist, dass die Zugehörigkeit von Menschen zu einer “race” keine biologische Realität abbildet. 

Für die Recherche

Center for Reproductive Rights. (2024). The World's Abortion Laws. Abgerufen von
https://reproductiverights.org/maps/worlds-abortion-laws/

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung. (2024). Weltbevölkerungsbericht 2024: Verwobene Leben, Fäden der Hoffnung – Ungleichheiten in der körperlichen Selbstbestimmung überwinden. Abgerufen von
https://www.dsw.org/weltbevoelkerungsbericht/

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (2024). Für Sexualaufklärung und Zugang zu Verhütungsmitteln.
https://www.dsw.org/sexualaufklaerung-verhuetung/

Österreichische Gesellschaft für Familienplanung. (2024). Weltbevölkerungsbericht 2024: Verwobene Leben, Fäden der Hoffnung – Ungleichheiten in der körperlichen Selbstbestimmung überwinden. Abgerufen von
https://oegf.at/produkt/weltbevoelkerungsbericht-2024-verwobene-leben-faeden-der-hoffnung/

Heinrich Böll Stiftung (2018). Einführung: Reproduktive Rechte - Definition und Debatten.
https://www.boell.de/de/2018/02/28/reproduktive-rechte

Quellenangaben

Ärzte Zeitung (2022). 160 Millionen Frauen haben keinen Zugang zu Kontrazeptiva.
https://www.aerztezeitung.de/Medizin/160-Millionen-Frauen-haben-keinen-Zugang-zu-Kontrazeptiva-430964.html

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2024). Körperliche Selbstbestimmung und reproduktive Gesundheit.
https://www.bmz.de/de/themen/koerperliche-selbstbestimmung-und-reproduktive-gesundheit

Crenshaw, Kimberlé (1989). Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics. University of Chicago Legal Forum: Vol. 1989: Iss. 1, Article 8. Available at:
http://chicagounbound.uchicago.edu/uclf/vol1989/iss1/8

DerStandard.de (n.d.) Schwangerschaftsabbrüche: Eine Freiheit, die die meisten wollen. Abgerufen von
https://www.derstandard.de/story/3000000216686/schwangerschaftsabbrueche-eine-freiheit-die-die-meisten-wollen

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung. (2024, 17. April). Weltbevölkerungsbericht 2024: Der lange Weg zur körperlichen Selbstbestimmung. Abgerufen von
https://www.dsw.org/press/weltbevoelkerungsbericht-2024-der-lange-weg-zur-koerperlichen-selbstbestimmung/

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung. (2024, 26. September). Globale Verhütungskrise: 200 Millionen Frauen ohne Zugang. Abgerufen von
https://www.dsw.org/press/globale-verhuetungskrise-200-millionen-frauen-ohne-zugang/

Disselkamp (2024).Schwieriger Fortschritt – Wieso Errungenschaften im Bereich körperliche Selbstbestimmung heute in Gefahr sind. Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung.
https://www.berlin-institut.org/aktuelles/detail/schwieriger-fortschritt-wieso-errungenschaften-im-bereich-koerperliche-selbstbestimmung-heute-in-gefahr-sind

Forschung und Lehre (2022). Verhütung: Wie gut sind Verhütungsmittel weltweit verfügbar.
https://www.forschung-und-lehre.de/forschung/wie-gut-verhuetungsmittel-weltweit-verfuegbar-sind-4893